Weiterer Polizist in Neukölln-Komplex verwickelt

Wischniowski bei einer AfD-Demo in Berlin am 07.11.2015

Ein sechster Polizist ist in den Neukölln-Komplex verwickelt: Stefan Andreas Wischniowski, IT-Forensiker beim BKA, über den der Spiegel vor kurzem berichtete. Mit dem Neonazi Tilo Paulenz und drei weiteren Personen bildete er 2017 den Vorstand der Neuköllner AfD. Auch ansonsten war er ein zentrales Mitglied zu einer Zeit, als die AfD immer mehr mit der lokalen Neonaziszene zusammenwuchs.

Bild: Wischniowski (mit roter Jacke) bei einer größeren AfD-Demonstration in Berlin-Mitte am 07.11.2015 (Christian Jäger)

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Laut im Gleichschritt marschierende Stiefel, Fackelschein, es sind bedrückende Bilder. Die Aufnahmen stammen von einer Demonstration der extrem rechten „Identitären Bewegung“ (IB) am Kahlenberg in Wien im September 2020 (Video hier). Die Stiefel gehören zu einer Abordnung der paramilitärischen Neonazigruppe „Slovenskí Branci“ aus der Slowakei. Gleich neben der Miliz spaziert der Berliner BKA-Beamte Stefan Andreas Wischniowski mit Partnerin und Kind, alle drei halten brennende Fackeln. Wischniowskis Arbeitgeber geriet durch die Aufnahmen unter Druck, wie der Spiegel kürzlich berichtete.

Wischniowski trat bereits 2013 in die AfD ein und wurde 2015 erstmals in ein Amt gewählt: Rechnungsprüfer. Der zu prüfende Schatzmeister war Hendrik Pauli, der ebenfalls an IB-Demonstrationen teilgenommen hat und wiederholt Menschen mit gezogenem Messer und „Hausbesuch“ bedrohte.

Ein Jahr später, im Januar 2017, wurde Wischniowski zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt, der Neonazi Tilo Paulenz wurde als Beisitzer sein Vorstandskollege. Die AfD fühlte sich im Aufwind, sie war gerade erst ins Abgeordnetenhaus und alle BVVen eingezogen und hatte in Neukölln Bernward Eberenz angeworben und als Stadtrat durchgesetzt. Inbesondere nach dem Breitscheidplatz-Attentat herrschte eine erwartungsvolle Erregung in der Partei. In dieser Stimmung teilte ein anderer Polizist, Detlef Moritz, in einer lokalen Partei-Chatgruppe polizeiinterne Informationen.

Wischniowski und Paulenz arbeiteten abseits der gemeinsamen Vorstandsarbeit an ganz unterschiedlichen Projekten, angefixt und motiviert durch die politische Lage waren sie jedoch beide. Wischniowski begann die große Bühne zu suchen und bewarb sich für das Neuköllner Bundestagsmandat. Auch dem AfD-Landesfachausschus für „Innere Sicherheit“ trat er bei. Paulenz begann einerseits, seinen Kameraden Sebastian Thom bei nächtlichen Angriffen zu unterstützen, und andererseits Thom und weitere Neonazis bei Parteiaktivitäten wie Veranstaltungen und Plakatieren einzubinden. Für den „Flügel“ wurde Paulenz in Neukölln sogar der Koordinator.

Wischniowskis Bewerbung für das Bundestagsmandat blieb erfolglos. Mit mehreren Petitionen versucht er seitdem, über die Partei hinaus seinen Beruf politisch zu nutzen. Ging es erst gegen Frauen im BKA, richteten sich weitere Petitionen beim Bundestag und dem Abgeordnetenhaus gegen migrantische Deutsche im BKA. Das Werbevideo zur letzten Petition ließ sich Wischniowski von Vadim Derksen aus Marzahn-Hellersdorf produzieren, dem Vorsitzenden der Parteijugend „Junge Alternative“ (JA) in Berlin. Während seiner Zeit in Regensburg nahm Derksen zusammen mit einem Neonazi vom „Freien Netz Süd“ (dem Vorläufer des „III. Weg“) an einer IB-Demonstration teil.

Mit der Berliner JA finanzierte Derksen einen Gedenkstein für „die gefallenen deutschen Soldaten im 1. und 2. Weltkrieg, die Selbstschutz- und Freikorpskämpfer und die ermordeten und unterdrückten Ostdeutschen“ im polnischen Bytom (Beuthen). Mit „Ostdeutsch“ sind freilich nicht die Neuen Bundesländer gemeint. An der Finanzierung des Steins beteiligte sich auch die NPD-Jugend „Junge Nationaldemokraten“ (JN). In einem offenen Brief von deutschen und polnischen Historiker:innen hieß es dazu: „In Oberschlesien unterstand der Selbstschutz SS-Oberführer Fritz Katzmann, einem der schlimmsten NS-Massenmörder während des Zweiten Weltkrieges“.

„Eng mit diesen Kreisen verbandelt“

Dass Neonazis in der Neuköllner AfD mitwirkten, Ämter übernahmen und Netzwerke knüpften, war in der Partei allgemein bekannt. Die Taz zitierte einen AfD-Bezirksverordneten, der sich an den Berliner AfD-Chef Georg Pazderski richtete und die Zustände sogar noch höflich zurückhaltend beschreibt. Denn Thom und teilweise ein dutzend weitere Neonazis nahmen auch an weiteren Veranstaltungen der Neuköllner AfD teil. Mit Christian Blank ist ein weiterer Neonazi Parteimitglied und noch heute Bezirksverordneter mit guten Beziehungen zur CDU-Fraktion.

Dem Neuköllner AfD-Mann macht die allzu große Nähe seines Bezirksverbands zur Neuköllner Neonaziszene offenbar Sorge, deswegen beschließt er, Pazderski mit seiner Mail darüber zu informieren. Er beschreibt wahrheitsgemäß, dass bei einem AfD-internen Vortrag Pazderskis im Bezirksverband Neukölln im September 2016 auch Sebastian T. unter den Zuhörern war. Den Neuköllner AfD-Mitgliedern sei dessen politischer Hintergrund bekannt, dennoch sei er „in diesen Kreis sehr freundschaftlich aufgenommen“ worden. „Allen anderen gegenüber wurde darüber Stillschweigen bewahrt, was allein schon zeigt, dass ihnen die Problematik dieses Sachverhalts durchaus bewusst war“, heißt es in der Mail weiter.

Der Neuköllner AfD-Verordnete ist sich sicher: „Die Vorstände des Bezirksverbands sind offenbar wie die dortige Mitgliedschaft nach wie vor eng mit diesen Kreisen verbandelt.“ Es sei „kaum glaubhaft zu vermitteln, dass es sich hier um bedeutungslose Einzelfälle in diesem Bezirk handelt“.

taz, 06.06.2020

Neben jenem anonymen Bezirksverordneten störte sich auch der neue Bezirksvorsitzende und Stadtrat Bernward Eberenz an den Neonazis in seinem Bezirksverband. Doch die Neonazis und ihre Unterstützer setzten sich durch, Eberenz verließ im Streit die Partei und ging zur CDU. Dieser Schritt wäre auch für Wischniowski möglich gewesen. Stattdessen sprang er für den führungslosen Bezirksverband in die Bresche und leitete den Notvorstand, um geordnete Kandidatenaufstellungen zur Bundestagswahl und die Neuwahl eines regulären Vorstands sicherzustellen. Wischniowskis Nachfolger als stellvertretender Vorsitzender wurde dann der bereits erwähnte Polizist Detlef Moritz.

Wischniowski ist beim „Kriminalistischen Institut“ des BKA mit IT-Forensik beschäftigt. Zu seiner Arbeit stellen sich eine ganze Reihe wichtige Fragen:

Der Spiegel hat eine Menge weiterer Details über Wischniowskis Werdegang und die gegenwärtigen Probleme mit seinem Arbeitgeber recherchiert, auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Nur dies sei gesagt: Neonazis und andere Rechte haben in den Polizeibehörden offensichtlich Narrenfreiheit – solange sie keine ernsthaften PR-Probleme verursachen, will der Staat nichts gegen seine rechten Diener unternehmen, unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation.

Der Neukölln-Komplex war nie unaufgeklärt – schon 2016 schrieben Medien und Antifas öffentlich und ausdrücklich über Sebastian Thom, wenig später auch über Tilo Paulenz und Julian Beyer. Wirklich alle wussten relativ schnell, wer für die Naziangriffe verantwortlich zu machen ist. Der Neukölln-Komplex ist also vor allem dies: ein Behörden-Komplex. Polizist:innen, Staatsanwälte und Verfassungsschützer:innen geben sich in Neukölln die Klinke in die Hand, auf den Rücken der Betroffenen und Überlebenden.

Am Samstag den 8.5. um 13:00 geht Neukölln Watch zusammen mit dem Aktionsbündnis Antira und vielen weitere Initiativen gegen diesen Komplex und das Polizeiproblem auf die Straße. Infos: ihrseidkeinesicherheit.org